Baberowski und seine linken Unterstützer – Warum beide denselben Fehler machen

Baberowski und seine linken Unterstützer – Warum beide denselben Fehler machen

Es fällt auf, wie stabil der Zuspruch für Jörg Baberowski ist. Konservative halten ihn für einen nüchternen Realisten. Und erstaunlich viele Linke tun das inzwischen auch. Beide Gruppen glauben, er beschreibe nur eine harte Realität, die man akzeptieren müsse. Doch dieser Konsens ist trügerisch. Baberowski arbeitet mit alten Denkfiguren, und seine linken Unterstützer übernehmen sie ungeprüft – aus Reflexen, die mehr mit eigenen Weltbildern zu tun haben als mit Analyse.

Geopolitik als Schicksal – ein Denkfehler mit Geschichte

Baberowski sagt, Russland werde „nicht zulassen“, dass die Ukraine sich nach Europa orientiert. Diese Formulierung wirkt sachlich. Tatsächlich verwandelt sie politische Gewalt in ein Naturgesetz. Ein imperialer Anspruch wird als Realität gesetzt, die man nicht befragen soll.

Viele Linke übernehmen diese Sicht, weil sie darin eine Struktur erkennen: Großmächte setzen Interessen durch, kleinere Staaten müssen sich fügen. Doch sie übersehen den zentralen Unterschied zwischen Beschreibung und Legitimation. Man kann erklären, dass Russland Macht ausübt. Aber daraus folgt nicht, dass diese Macht normal oder berechtigt wäre.

Linke Realisten wie Ingar Solty übernehmen hier unbewusst Baberowskis Grundannahme – und damit auch seinen Fehler.

Der blinde Fleck: Die Ukraine wird zum Objekt erklärt

Sowohl Baberowski als auch seine linken Verteidiger sprechen über die Ukraine, aber selten über ihr politisches Subjekt. Das Land erscheint als Spielfeld, auf dem andere Akteure Entscheidungen treffen. Seine eigenen Revolutionen, seine anti-oligarchischen Bewegungen, sein Wille zur Selbstbestimmung verschwinden in geopolitischen Rasterkarten.

Linke Theorie hebt normalerweise hervor, dass politische Subjekte entstehen, wenn Menschen sich gegen Herrschaft organisieren. Genau das ist in der Ukraine geschehen. Doch diese Perspektive fehlt in der linken Realismus-Debatte fast vollständig. Stattdessen heißt es: Die Ukraine sei „überdehnt“, „instrumentalisiert“ oder „Opfer geopolitischer Konkurrenz“.

Damit verliert man den Blick für das Wesentliche: Die Ukraine handelt. Sie will etwas. Sie verteidigt eine Zukunft, für die sie seit Jahrzehnten kämpft.

Warum manche Linke russischen Imperialismus verharmlosen

Drei Muster erklären diese Fehleinschätzung.

1. Struktureller Anti-Amerikanismus

Für viele Linke ist der Westen der Hauptakteur globaler Ausbeutung. Das ist historisch nachvollziehbar, führt aber zu einem verkürzten Weltbild: westlicher Imperialismus gilt als strukturell, russischer Imperialismus als reaktiv. Russland erscheint nicht als eigenes Zentrum von Herrschaft, sondern als Gegengewicht zum Westen. Dass Russland seit den 1990er Jahren ein imperiales Projekt betreibt – rohstoffbasiert, oligarchisch, repressiv – fällt so unter den Tisch.

2. Nostalgie für die Ostpolitik

Die Hoffnung, man könne Russland „einbinden“, prägt viele linke Debatten noch immer. Doch dieses Modell stammt aus einem völlig anderen historischen Kontext. Es taugt nicht mehr für ein Regime, das Krieg systematisch als Instrument zur Stabilisierung innerer Macht nutzt. Baberowski klingt für viele Linke glaubwürdig, weil er diese alte Logik bestätigt.

3. Blindheit gegenüber postkolonialen Dynamiken in Osteuropa

Linke Theorie erkennt Kolonialismus im globalen Süden klar. In Osteuropa dagegen wird koloniale Herrschaft Russlands oft relativiert. Die Ukraine erscheint dann als kulturell „geteilter“ Raum, nicht als Nation, die eine koloniale Beziehung abwirft. Diese Fehleinschätzung schwächt den Blick auf die politischen Strukturen des Krieges.

Das „NATO hat provoziert“-Narrativ

Viele Linke verteidigen Baberowski, indem sie sagen: Die NATO habe Russland provoziert. Doch dieses Argument erklärt wenig. Es verschiebt nur Verantwortung. Die Fakten passen nicht zu dieser Erzählung. Osteuropäische Staaten traten der NATO bei, weil sie vor russischem Machtanspruch Schutz suchten – nicht um Russland zu bedrohen. Russland griff die Ukraine nicht an, weil es eingekreist wurde, sondern weil es die Ukraine als historischen Besitz betrachtet.

Wer hier von „Provokation“ spricht, folgt einer Logik, die russische Machtpolitik verniedlicht und ukrainische Selbstbestimmung delegitimiert.

Selektives Zitieren – ein intellektueller Kurzschluss

Linke Unterstützer betonen gern, Baberowski sei „sachlich“ oder „nüchtern“. Doch diese Nüchternheit entsteht oft durch selektive Wahrnehmung. Man zitiert die Stellen, die das eigene Misstrauen gegenüber der NATO bestätigen – und überliest jene Passagen, in denen Baberowski ukrainische Souveränität relativiert oder russische Macht als „gegeben“ darstellt. So entsteht ein scheinbar kohärentes Bild, das mit seiner tatsächlichen Argumentation wenig zu tun hat.

Die Symmetrie, die es nicht gibt

Linke Realisten sprechen oft von „Sicherheitsinteressen beider Seiten“. Doch diese Symmetrie ist konstruiert. Russland greift an, die Ukraine verteidigt sich. Russland erhebt territoriale Ansprüche, die Ukraine fordert nur Souveränität. Russland leugnet die ukrainische Nation, die Ukraine leugnet nicht Russland. Wer diese Asymmetrie verwischt, verliert jede analytische Schärfe.

Linke Realisten ersetzen hier Analyse durch Skepsis gegenüber dem Westen – und verlieren aus dem Blick, was Russland tatsächlich tut.

Die ökonomische Grundlage des Krieges

Baberowski beschreibt Russland als politische Großmacht, aber nicht als ökonomisches System. Linke Unterstützer machen denselben Fehler. Doch ein marxistischer Ansatz würde genau dort ansetzen: beim Charakter des russischen Kapitalismus. Der Krieg stabilisiert das Regime, bindet Eliten, verschiebt Konflikte nach außen und öffnet neue Ausbeutungszonen. Ohne diese ökonomische Grundlage lässt sich der Krieg nicht verstehen.

Europa ist nicht machtlos – nur zögerlich

Baberowski spricht von europäischer Ohnmacht. Viele Linke übernehmen das als Fakt. Doch Europa ist nicht strukturell ohnmächtig. Es hat Handlungsmöglichkeiten – militärisch, ökonomisch, diplomatisch. Wenn Europa nicht handelt, liegt das nicht an fehlender Kraft, sondern am fehlenden Willen. Die Rede von „Ohnmacht“ dient häufig nur dazu, Verantwortung zu vermeiden.

Warum folgen also Linke Baberowski?

Viele Linke misstrauen dem Westen stärker, als sie autoritäre Regime analysieren. Sie interpretieren geopolitische Konflikte durch die Brille der US-Kritik und übersehen dabei andere Formen von Imperialismus. So entsteht eine ungewollte Nähe zu konservativem Realismus, obwohl man politisch weit entfernt steht. Baberowski liefert den scheinbar nüchternen Rahmen dafür.

Was folgt daraus? Linke Außenpolitik steht an einem Wendepunkt

Diese Debatte ist zentral. Es geht nicht nur um Russland. Es geht darum, ob die Linke in der Lage ist, autoritäre, imperiale Strukturen auch dann zu erkennen, wenn sie nicht vom Westen ausgehen. Wer Baberowski folgt, verliert diesen Blick. Wer die Ukraine nicht ernst nimmt, verliert den Anschluss an moderne, emanzipatorische und Bewegungen des globalen Südens.

Ein zeitgemäßer, marxistisch informierter Internationalismus müsste gegen jedes Imperium gerichtet sein – gegen westliche, russische, chinesische. Er müsste die Ukraine als politisches Subjekt ernst nehmen. Und er müsste anerkennen, dass Demokratiebewegungen auch an Orten entstehen, die nicht in das alte linke Weltbild passen.

Fazit

Die Kritik an Baberowski reicht nicht. Seine linken Unterstützer müssen mitkritisiert werden, weil sie dieselben Denkfehler teilen. Sie verwechseln Struktur mit Schicksal. Sie erklären Gewalt zur Natur. Sie schwächen den Begriff des Anti-Imperialismus. Und sie verlieren die Ukraine aus dem Blick.

Linke Theorie sollte aber eines leisten: Alternativen sichtbar machen. Nicht alte Herrschaftsmuster wiederholen.

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