Bolsonaro hinter Gittern: Beweise, Geschichte und die Logik der Straflosigkeit
Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens wird ein Ex-Präsident für den Versuch eines Militärputsches verurteilt. Jair Bolsonaro muss 27 Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Vier von fünf Richter:innen des Obersten Bundesgerichts erklärten ihn schuldig, die Demokratie nach seiner Wahlniederlage 2022 „gewaltsam beseitigen“ zu wollen.
Das Urteil ist mehr als ein individueller Schuldspruch. Es ist ein Bruch mit der politischen Kultur der Straflosigkeit, die Brasilien seit der Militärdiktatur geprägt hat. Jahrzehntelang blieben Folterer und Generäle ungestraft. Nun setzt das Land ein Zeichen: Wer den demokratischen Rechtsstaat zerstören will, muss mit Konsequenzen rechnen.
Die Beweise
Die Richter:innen stützten ihr Urteil auf ein dichtes Netz von Belegen:
- Coup-Dekrete: In der Wohnung des Ex-Justizministers Anderson Torres fand die Polizei einen Entwurf, der den Ausnahmezustand erklären und die Wahlergebnisse aufheben sollte. Bolsonaro selbst nahm daran Änderungen vor. Ein schriftlicher Bauplan für die Diktatur.
- Zeugenaussagen: Mauro Cid, Bolsonaros Adjutant, sagte aus, dass der Ex-Präsident an Sitzungen teilnahm, in denen über Festnahmen von Richtern und Oppositionellen gesprochen wurde. Bolsonaro war kein Zaungast, sondern Akteur.
- Militärische Mitverschwörer: Ehemalige Verteidigungsminister, Admiräle und Generäle – darunter Braga Netto und Garnier – wurden ebenfalls verurteilt. Ihre Rolle bei Planung und Finanzierung zeigt: Es handelte sich um ein organisiertes Netzwerk.
- 8. Januar 2023: Der Sturm auf den Kongress und den Obersten Gerichtshof war kein spontaner Mob, sondern die praktische Entladung einer zuvor geplanten Strategie.
- Operation „Tempus Veritatis“: Bundespolizei und Staatsanwaltschaft legten Hunderte Seiten voller Kommunikationsprotokolle vor, die das Netz aus Politikern, Militärs und Ministern als „kriminelle Organisation“ sichtbar machten.
Das Gericht betonte: Schon die konkrete Vorbereitung eines Staatsstreichs erfüllt den Tatbestand. Intention plus Handlungsschritte reichen aus, um den Angriff auf die Demokratie zu bestrafen.

Die Argumentation der Richter:innen
Richter Alexandre de Moraes sprach vom Versuch, „die Grundpfeiler des Rechtsstaates zu zerstören“. Seine Kollegin Cármen Lúcia warnte vor dem „Virus des Autoritarismus“. Entscheidend war: Bolsonaro stand an der Spitze eines strukturierten Plans, der über Monate vorbereitet wurde.
Nicht Worte allein, sondern konkrete Handlungen – Dekrete, Treffen, Mitverschwörer – machten aus Intention eine reale Gefahr. Das Gericht machte klar: Demokratie darf nicht erst verteidigt werden, wenn der Panzer rollt.
Der Schatten der Militärdiktatur
Um die Tragweite zu verstehen, braucht es den historischen Hintergrund. Zwischen 1964 und 1985 herrschte eine Militärdiktatur. Oppositionelle wurden verfolgt, gefoltert, ermordet. Doch mit dem Amnestiegesetz von 1979 blieben Täter:innen straffrei.
Diese Kultur der Straflosigkeit prägte das politische Klima. Bolsonaro selbst verherrlichte die Diktatur, lobte Folterer und träumte offen vom Eingreifen des Militärs. Dass er nun für seine eigenen Putschpläne verurteilt wird, bedeutet einen Bruch mit dieser Tradition – und ein spätes Signal der Aufarbeitung.
Der Druck der USA – und seine Gegenwirkung
US-Präsident Donald Trump und sein Außenminister Marco Rubio sprachen von „politischer Verfolgung“ und drohten mit Sanktionen. Doch diese Einmischung wirkte kontraproduktiv. Statt einzuknicken, mussten die Richter:innen ihre Unabhängigkeit umso klarer demonstrieren.
In Zeiten global vernetzter Rechtspopulisten – Trump, Bolsonaro, Orbán, Modi – ist das Urteil auch eine Absage an transnationale autoritäre Allianzen.
Warum dieses Urteil notwendig war
Die Frage, ob schon die Intention strafbar sei, beantwortete das Gericht unmissverständlich: Ja – wenn sie mit Organisation, Dokumenten, Mitverschwörern und konkreten Handlungen einhergeht.
Ein Putschplan ist keine bloße Fantasie, wenn er von Ministern diskutiert, von Militärs unterstützt und durch Gewaltakte wie am 8. Januar befeuert wird. Wer so handelt, gefährdet die Demokratie real.
Fazit: Sieg mit Vorbehalt
Das Urteil gegen Bolsonaro ist ein historischer Sieg für den Rechtsstaat. Doch es ist kein Endpunkt. Der Bolsonarismus lebt weiter – in den Kirchen, in den Kasernen, in den Favelas.
Juristische Strafen können Institutionen schützen. Aber nur eine veränderte Gesellschaft kann dem Autoritarismus den Boden entziehen. Die Lehre von diesem Urteil lautet: Straflosigkeit darf nie wieder der Nährboden für Putschisten sein.
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