Der Frieden der Sieger – Trumps Gaza-Plan als imperiale Verwaltung der Katastrophe

Kaum ist der Staub über den Ruinen Gazas gesunken, ruft Donald Trump den Frieden aus. Nicht als Geste der Versöhnung, sondern als PR-Kampagne eines Imperiums, das seine Gewalt neu organisiert. Der ehemalige US-Präsident verkauft seinen „Deal of the Millennium“ als Lösung eines Konflikts, den die Welt längst für unlösbar hält. Doch was Trump als „Jahrtausendfrieden“ anpreist, ist die Verwaltung einer Okkupation unter neuem Namen – ein politisch veredelter Stillstand.

Der Plan, entworfen von Jared Kushner und Tony Blair, sieht vor, dass Israel sich schrittweise aus Gaza zurückzieht und eine internationale „Stabilisierungsmission“ übernimmt. Eine Übergangsverwaltung soll den Wiederaufbau koordinieren, Hamas entwaffnen und Wahlen vorbereiten – bis Gaza „sicher“ sei. Israel behält allerdings eine ein Kilometer breite Sicherheitszone entlang der Grenze, dauerhaft überwacht und militärisch kontrolliert. Das Ergebnis: Gaza als Pufferstaat im Schatten der Besatzung, ein Mandatsgebiet des 21. Jahrhunderts.

Der marxistische Nahostforscher Gilbert Achcar nennt das den „Frieden der Sieger“. Wie schon beim „Deal of the Century“ 2020 wird Selbstbestimmung nicht als Recht formuliert, sondern als Eventualität. In Punkt 19 heißt es: „Wenn die Reformen umgesetzt und Gaza stabilisiert sind, kann ein Weg zur Selbstbestimmung eröffnet werden.“ Dieses kann ist die Formel des Imperialismus: Rechte werden zur Belohnung, Autonomie zur Zugabe.

Der verdrängte Völkermord

Hinter diesen diplomatischen Formeln liegen Leichenfelder.

Über 65 000 Palästinenser:innen wurden seit dem Beginn der israelischen Offensive 2023 getötet, mehrheitlich Frauen und Kinder. Krankenhäuser, Universitäten, Moscheen, UN-Schulen – alles wurde systematisch zerstört. 80 Prozent der Bevölkerung leben in Ruinen oder Zelten, Trinkwasser und Stromversorgung sind weitgehend kollabiert.

Diese Realität wird im neuen Plan kaum erwähnt. Er spricht von „Wiederaufbau“ und „Humanitärhilfe“, nicht von Verantwortung. Kein Wort von Kriegsverbrechen, keine Bedingung für Rechenschaft. Der Plan verwischt die Spuren eines der brutalsten Massaker der Gegenwart.

Währenddessen läuft vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag das Verfahren wegen mutmaßlichen Völkermords Israels in Gaza, eingeleitet von Südafrika und unterstützt von Dutzenden Staaten. Parallel hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Ermittlungen gegen Benjamin Netanjahu, Yoav Gallant und weitere israelische Verantwortliche wegen Kriegsverbrechen aufgenommen – ebenso wie gegen führende Hamas-Kommandanten.

Dass der neue Gaza-Plan dieses Verfahren komplett ignoriert, ist kein Zufall. Ein Friedensprojekt, das über 65 000 Tote hinweggeht, ist kein Plan, sondern eine Amnestie für Täter. Es ersetzt Gerechtigkeit durch Governance, Schuld durch Stabilität.

Die Architektur der Kontrolle

Drei Säulen tragen das Projekt – Entwaffnung, Verwaltung, Wiederaufbau. Alle drei klingen vernünftig, alle drei dienen jedoch der Kontrolle.

- Entwaffnung – um potentiellen Widerstand zu brechen.

- Verwaltung – um politische Autorität zu outsourcen.

- Wiederaufbau – um ökonomische Abhängigkeit zu erzeugen, mit dem fertigen Trumü-Gaza Plan in der Schublade

So entsteht eine technokratische Besatzung: international legitimiert, finanziert von den Golfstaaten, koordiniert durch die USA.

Die Sprache ist modern, die Logik alt. Edward Said nannte das die „Verwaltung der Differenz“: Koloniale Macht reproduziert sich, indem sie den Kolonisierten zum Reformobjekt macht. Auch Achille Mbembe hat beschrieben, wie die moderne Ordnung das Töten und Verwalten verschmilzt – necropolitics als Routine: humanitäre Hilfe und militärische Präsenz im selben Atemzug. Der Gaza-Plan folgt genau dieser Rationalität.

Interessenachsen und Widersprüche

Für Washington ist der Plan ein Machttest. Kann das Imperium noch ordnen, ohne zu besetzen? Für Trump ist er innenpolitisches Schauspiel: Stärke zeigen, ohne neue Kriege zu führen. Und endlich den Friedensnobelpreis erhalten, um seine krankhaft narzistische Seele und seinen Größenwahn zu befriedigen.

Für Israel bedeutet er Sicherheit ohne Verantwortung. Netanjahus Regierung akzeptiert den Plan, um Zeit zu gewinnen und internationale Kritik zu entschärfen. Eine entmilitarisierte, fragmentierte Gaza-Zone entspricht exakt israelischer Doktrin.

Die Hamas steckt im Dilemma: Nimmt sie teil, verliert sie Legitimität; lehnt sie ab, droht Vernichtung. Sie signalisiert begrenzte Kooperation bei Waffenruhe und Geiselabkommen, verweigert aber Entwaffnung und internationale Kontrolle.

Die Palästinensische Autonomiebehörde versucht, zurück ins Spiel zu kommen – mit der Hoffnung, wieder als „Partner“ des Westens aufzutreten. Doch sie bleibt ein schwaches Instrument: bürokratisch, abhängig, delegitimiert.

Ägypten, Katar und Saudi-Arabien balancieren zwischen Vermittlung, Grenzsicherung und Prestige. Kairo fürchtet neue Flüchtlingsströme, Riad braucht Stabilität für seine Modernisierungsagenda, Doha will politisches Kapital als Mediator. Die EU wiederum mahnt Bedingungen an, bleibt aber faktisch Zuschauerin: moralisch laut, machtpolitisch irrelevant.

Der Frieden der Verwaltung

Die Erfolgschancen liegen niedrig – vielleicht 30 bis 40 Prozent für eine bruchstückhafte Feuerpause, weniger als 20 Prozent für ein stabiles politisches Arrangement.

Der Gaza-Plan ist kein Friedensabkommen, sondern ein politisches Verwaltungsregime. Er will Ordnung, nicht Gerechtigkeit; Stabilität, nicht Freiheit. Seine Sprache ist die des Fortschritts, seine Struktur die der Dominanz. Die „internationale Gemeinschaft“ tritt auf wie ein Konzern, der eine Krisenregion restrukturiert: mit Zielvorgaben, Kontrollmechanismen und Budgetlinien.

Doch Macht kann keinen Frieden schaffen, der auf Ungleichheit und ungesühnten Verbrechen gebaut ist. Solange die Verantwortlichen für die Zerstörung von Gaza straflos bleiben, bleibt jeder Wiederaufbau moralisch leer. Solange palästinensische Selbstbestimmung von Zustimmung abhängt, bleibt jeder „Deal“ kolonial.

Vielleicht ist das, was Achcar den „Frieden der Sieger“ nennt, die ehrlichste Beschreibung der Gegenwart: Kein Krieg, aber auch kein Frieden. Nur die Organisation des Stillstands – mit Mandaten, Mauern und Management.

Doch in Gaza, wo Kinder das Wort Ceasefire buchstabieren, bleibt Hoffnung selbst schon Widerstand. Und solange sie lebt, ist jeder imperiale Frieden nur ein Provisorium.

Zum Artikel von Gilbert Achcar:

https://anticapitalistresistance.org/the-deal-of-the...

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