„Die Demokratie stirbt nicht – sie mutiert“. Obama, Trump und die autoritäre Reorganisation des Westens
Barack Obama warnt. Wieder einmal. Und wieder ist es ernst: Die Vereinigten Staaten könnten in die Autokratie abgleiten. Der ehemalige Präsident spricht von „systemischen Angriffen“ auf die Demokratie, von „strukturellem Autoritarismus“, von der Gefahr, dass alles kippt. Sein Ziel: die Wähler:innen mobilisieren, den demokratischen Konsens retten, bevor es zu spät ist.
Doch je dramatischer der Ton, desto leerer wirkt die Geste. Denn was hier zu Grabe getragen wird, ist nicht die Demokratie an sich – sondern ein Bild von ihr, das längst an den Realitäten zerbrochen ist.
Der Präsident als Propagandist der Ordnung
Obama war nie nur Politiker. Er war ein Mythos: jung, schwarz, redegewandt, das Versprechen auf Veränderung inmitten eines verkrusteten Systems. Doch seine Präsidentschaft wurde zur Lehrstunde darüber, wie wenig Reformwille gegen die Strukturgewalt des Kapitals ausrichten kann. Oder will.
Er wurde zum Manager des Status quo. Zum Rhetoriker der leeren Mitte. Zum Architekten einer Demokratie, die ihre Versprechen an der Wall Street einlöste, nicht in Detroit. Die mit Drohnen Frieden versprach. Die Abschiebungen verwaltete, während sie von Inklusion sprach. Die den entfesselten Markt als Schicksal behandelte – und Protest als Störung.
Heute tritt er auf als liberaler Rufer in der Wüste. Doch seine Worte tragen die Last der verlorenen Glaubwürdigkeit.
Project 2025: Autoritarismus als Programm
Die eigentliche Gefahr ist nicht rhetorisch. Sie ist programmiert: Project 2025, die Blaupause eines neuen Staates, geschrieben von der US-Rechten, vorbereitet von Thinktanks wie der Heritage Foundation, getragen von Milliardären und Kulturkämpfern.
Hier geht es nicht mehr um politische Inhalte, sondern um Reorganisation des Staates selbst:
- Entmachtung unabhängiger Behörden,
- Unterordnung der Justiz unter das Präsidentenamt,
- Zerschlagung von Klima- und Sozialprogrammen,
- Einschränkung von Gewerkschaften, Migrant:innenrechten, Frauenrechten.
Nicht Trump ist das Projekt. Das Projekt ist größer als Trump.
Und es folgt einer Logik, die über die USA hinausweist: Die autoritäre Antwort auf die Legitimationskrise des Neoliberalismus.
Was Obama verschweigt
Wenn Obama warnt, tut er das im Namen einer Demokratie, die längst bröckelt – nicht trotz, sondern wegen ihrer ökonomischen Grundlagen.
In der Sprache der liberalen Mitte heißt es: Die Demokratie ist bedroht. In marxistischer Analyse heißt das: Die Hegemonie des Kapitals gerät ins Wanken – und ruft den starken Staat zu Hilfe.
Was kommt, ist nicht der Untergang der Ordnung, sondern ihre radikale Neuformierung:
- repressiver statt integrativer Staat,
- postdemokratische Technokratie und autoritäre Volksermächtigung,
- digitaler Zwang statt deliberativer Debatte.
Oder mit Gramsci: „Die alte Welt stirbt, und die neue ist noch nicht geboren. In diesem Interregnum treten viele Ungeheuer auf.“
Von Bonapartismus zu digitalem Faschismus?
Trump ist nicht Hitler. Aber Project 2025 ist kein Wahlprogramm – es ist ein Umbauplan für die Zukunft. In der Sprache der Theorie: ein Übergang vom liberalen Bonapartismus zu einem digitalisierten, kulturkämpferischen Autoritarismus, der ganz neue Bündnisse schmiedet:
Kapital + Reaktion + Evangelikalismus + Big Tech.
Es ist ein Autoritarismus ohne Uniform, mit Facebook-Account, in Anzügen.
Und die liberalen Eliten? Beobachten das mit Faszination und Fassungslosigkeit – und tun: nichts.
Und die Linke?
Die Linke – in den USA wie in Europa – steht vor der strategischen Wahl:
Will sie weiter an die liberale Mitte andocken, sich als „letzte Verteidigung“ der alten Ordnung verdingen?
Oder begreift sie endlich: Nur ein Bruch mit dem kapitalistischen Normalbetrieb kann den autoritären Umbau stoppen.
Das heißt:
- Aufbau realer Gegenmacht: in Gewerkschaften, Stadtteilen, Bewegungen.
- Neue Erzählung von Demokratie: nicht als Wahlrecht, sondern als soziale Kontrolle über Produktion, Reichtum, Alltag.
- Internationale Solidarität gegen nationalistische Abriegelung.
- Wiederaneignung des Begriffs „Freiheit“ – von links.
Der Liberalismus stirbt – nicht die Demokratie.
Was stirbt, ist die bürgerliche Form des politischen. Was kommt, ist offen. Was droht, ist konkret. Die Aufgabe ist groß – aber nicht neu.
Denn: Noch nie wurde Herrschaft freiwillig aufgegeben. Noch nie wurde Demokratie geschenkt. Noch nie hat der Kapitalismus sich selbst reformiert.
Obama sieht die Gefahr. Wir sehen das System.
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