Palantir und der autoritäre Drift. Wie eine Software zur Infrastruktur der Repression wird

Von außen wirkt Palantir wie ein gewöhnlicher Tech-Konzern: mit glänzenden PowerPoint-Präsentationen, Partnerschaften mit Sicherheitsbehörden und steigenden Aktienkursen. Doch hinter dem Datengiganten verbirgt sich ein ganz anderes Projekt – eines, das in den Maschinenraum der Macht führt. Es geht um Kontrolle. Um Vorhersage. Und um ein neues Betriebssystem des Autoritären.

Demokratischer Anstrich, autoritäre Anwendung

„Wir liefern nur an Demokratien“ – so lautet die offizielle Linie des US-Unternehmens Palantir. Doch wer diese Behauptung ernst nimmt, hat die Realität längst aus den Augen verloren. Die Software des Unternehmens wird in Deutschland bei der Polizei in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern eingesetzt. In den USA unterstützt Palantir das ICE bei der Erfassung und Deportation von Migrant:innen. In Großbritannien analysierte Palantir während der Corona-Pandemie Gesundheitsdaten von Millionen Menschen – ohne klare Kontrolle, ohne Zustimmung der Betroffenen.

Der demokratische Mantel, den sich Palantir umlegt, ist nichts weiter als ein Etikettenschwindel. Entscheidend ist nicht, wer auf dem Papier demokratisch ist – sondern wie diese Software eingesetzt wird. Und sie wird eingesetzt, um Daten zu verdichten, Verhalten vorherzusagen, abweichendes Verhalten zu markieren.

Israel: Hightech-Besatzung mit Cloud-Support

Am deutlichsten wird dies im Fall Israel. Palantir kooperiert offen mit dem israelischen Militär. Die Software hilft, Menschen im Westjordanland zu überwachen. Wer sich bewegt, wer protestiert, wer nicht zur „stabilen Ordnung“ beiträgt – alles wird analysiert, markiert, bewertet. Die norwegische Staatsbank zog daraus Konsequenzen und entzog dem Konzern ihr Kapital. Andere Demokratien zeigen sich unbeeindruckt – und nutzen Palantir weiter.

Von Ungarn bis Indien: Die neue Grauzone der Kontrolle

Ungarn, Türkei, Indien – Länder, in denen Demokratien erodieren. Politische Gegner werden verfolgt, Medien gleichgeschaltet, Proteste kriminalisiert. Auch dort gibt es Interesse an Palantir – ob direkt oder über Zwischenstrukturen bleibt oft im Dunkeln. Doch die Strategie ist klar: Wo autoritäre Tendenzen in der Regierung aufsteigen, wird Überwachung zur Infrastruktur.

Der Export erfolgt nicht an Diktaturen – sondern an ihre Verwandten: autoritäre Demokratien, hybride Regime, technokratische Sicherheitsstaaten.

Krieg, Polizei, Sozialstaat – überall Palantir

- Was Palantir liefert, ist keine Software. Es ist ein Betriebssystem für staatliche Kontrolle.

Einige Beispiele:

- In der Ukraine werden Echtzeit-Kampfdaten über das Skykit analysiert.

- In den USA nutzt das Militär Palantir zur Zielfindung.

- In der EU werden Migrationsdaten über Risikobewertungssysteme verarbeitet.

- In Deutschland werden verdachtsunabhängige Personenprofile erstellt.

Immer gleich ist das Muster: Daten plus Algorithmus gleich Risiko. Und was als Risiko klassifiziert wird, bestimmt nicht das Gesetz – sondern der Code.

Wenn Repression zum Geschäftsmodell wird

Palantir war lange defizitär. Doch 2023 gelingt die Wende – die Firma macht erstmals Gewinn. Kein Wunder: Die Welt brennt, der Sicherheitsapparat wächst, Staaten brauchen Kontrolle. Palantir bietet sie – und verwandelt Angst in Umsatz.

Je instabiler die politische Lage, desto profitabler das Modell. Krisen sind der Humus, auf dem diese neue Sicherheitsökonomie gedeiht. Ihre Akteure sind nicht gewählte Regierungen, sondern Konzerne – Plattformen, die mit Daten handeln, mit Profilen kalkulieren, mit Menschenleben spekulieren.

Fünf Thesen zur Macht von Palantir

1. Palantir ist keine neutrale Technologie, sondern ein Herrschaftswerkzeug. Es dient nicht der Sicherheit aller, sondern der Stabilisierung bestehender Machtverhältnisse.

2. Die Unterscheidung zwischen Diktatur und Demokratie verliert an Bedeutung. Entscheidend ist nicht das Etikett, sondern die Praxis – und die ist in vielen Demokratien längst autoritär.

3. Palantir hilft nicht beim Schutz der Freiheit, sondern bei ihrer Erosion. Durch algorithmische Vorauswahl, durch automatische Verdachtsmomente, durch digitale Vorverurteilung.

4. Militärische und zivile Anwendungen verschmelzen. Die Software, die in Gaza zum Einsatz kommt, entscheidet morgen über Polizeieinsätze in Berlin oder Paris.

5. Die politische Antwort liegt nicht in der Regulierung, sondern in der Entmachtung. Öffentliche Infrastruktur muss öffentlich kontrolliert werden. Algorithmen gehören nicht in private Hände.

Fazit: Kontrolle ist nicht neutral – sie ist Klassenmacht

Palantir symbolisiert den Übergang vom Sicherheitsstaat zum Softwarestaat. Die Entscheidungen fallen nicht mehr im Parlament, sondern im Backend. Der neue Leviathan heißt nicht mehr Polizei oder Militär – sondern API, Cloud, KI.

Eine demokratische Öffentlichkeit muss dem etwas entgegensetzen. Es braucht Transparenz, Datenschutz, algorithmische Abrüstung. Aber vor allem: politischen Willen. Wer sich Palantir überlässt, verliert die Kontrolle über die Kontrolle.

(c) Kritik & Praxis - Verstehen. Hinterfragen. Verändern

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