Sprache als Sprengsatz – Die Atombombe im Diskurs von Krieg und Macht
Wer heute von der iranischen Atombombe spricht, spricht selten von Uran. Er spricht von Symbolen, Drohkulissen, geopolitischen Verschiebungen. Und immer – ob bewusst oder nicht – spricht er aus einer Position, die mehr über das eigene Weltbild verrät als über das iranische Atomprogramm. Die aktuelle Eskalation zwischen Israel und dem Iran ist kein unmittelbares Ergebnis nuklearer Bedrohung, sondern ein Ausdruck der ideologischen Aufladung des Atombegriffs selbst. Es ist ein Diskurs, der mehr zündet als entschärft.
Die These, der Iran stehe kurz vor dem Bau einer Atombombe, ist seit zwei Jahrzehnten Dauergeräusch der internationalen Politik. Und sie ist, Stand heute, empirisch nicht belegt. Der Internationalen Atomenergiebehörde zufolge hat Teheran zwar seine Anreicherung ausgeweitet, doch keinerlei politische Entscheidung zum Bau einer Nuklearwaffe getroffen. Dass dennoch bombardiert wird, zeigt: Es geht nicht um Fakten, sondern um politische Inszenierung. Nicht die Bombe, sondern die Möglichkeit der Bombe wird zum Rechtfertigungsinstrument für Präventivschläge. Der Feind muss nicht handeln, er muss nur möglich sein.
Dieser Wandel vom „pre-emptive strike“ zur „preventive war“-Logik ist keine sprachliche Spitzfindigkeit. Es ist der Punkt, an dem Diplomatie stirbt. Israels jüngste Angriffe trafen Iran just in einem Moment, in dem Gespräche über eine Wiederaufnahme der Atomverhandlungen mit den USA in Oman bevorstanden. Die Entscheidung zur Bombardierung war damit nicht Reaktion auf einen bevorstehenden Angriff, sondern Sabotage einer diplomatischen Möglichkeit. Krieg wird zur Politik mit anderen Mitteln, zur Sprache der Macht in einem System, das keine Alternativen mehr kennt.
Dazu passt die rassistische Struktur des Atomdiskurses: Israel besitzt, von keiner Seite offen kritisiert, bis zu 100 Nuklearsprengköpfe, verweigert sich dem Atomwaffensperrvertrag, ist aber dennoch Teil westlicher Sicherheitsarchitektur. Iran hingegen, Vertragspartner und bisher ohne Atomwaffe, wird sanktioniert, bedroht, nun auch militärisch attackiert. Die koloniale Logik lautet: Unsere Bomben sichern Frieden, eure sind existenzielle Gefahr. Diese Doppelmoral ist keine rhetorische Schlampigkeit, sondern ideologische Konstante.
Doch nicht nur Regierungen sprechen mit gespaltener Zunge. Auch westliche Leitmedien – von Tagesschau über Guardian bis New York Times – reproduzieren den semantischen Schleier: Die israelischen Angriffe seien „präventiv“, „notwendig“ oder Ausdruck „existenzieller Bedrohung“. Iran dagegen „riskiert“ Eskalation, „provoziert“ oder „versteckt“ seine Absichten. Die Sprache ist hier keine Beschreibung, sondern eine Form der Teilhabe am Krieg selbst. Semantische Kriegsführung wird zur diskursiven Luftabwehr gegen Kritik.
Die politische Wirkung dieser Begriffe ist real. Sie erlaubt es einem Benjamin Netanjahu, innenpolitische Krisen – Korruptionsprozesse, zerfallende Koalitionen, soziale Unruhen – zu externalisieren. Die Bombe liegt nicht in Isfahan, sondern in Tel Aviv: als Hebel zur Mobilisierung, zur Ablenkung, zur Sicherung autoritärer Macht. Wer heute von „Sicherheit Israels“ spricht, ohne die innenpolitischen Dynamiken zu reflektieren, macht sich blind für die instrumentelle Dimension dieser Kriegsführung.
Eine kritische Perspektive muss hier tiefer greifen. Sie darf sich nicht mit der Empörung über den Angriff oder dem moralischen Gleichgewicht zufriedengeben. Sie muss die Sprache entwaffnen, die Logik der „Stabilität“ und „Selbstverteidigung“ analysieren, ihre ideologische Funktion benennen: Stabil bleibt, wer dominiert. Verteidigt wird, was schon besetzt ist. Und Sicherheit wird dort zur Gefahr, wo sie Waffen statt Gerechtigkeit bringt.
Wer Frieden will, darf nicht nur Raketen kritisieren, sondern auch die Begriffe, die sie legitimieren. Die entscheidende Bombe des 21. Jahrhunderts besteht aus Sprache. Und sie zündet täglich in unseren Zeitungen.
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